Im Vergabeverfahren müssen Bewerber und Bieter einige Fristen einhalten. Die Länge der Fristen legen öffentliche Auftraggeber fest, wobei sie an gesetzliche Mindestfristen gebunden sind. Für Sektorenauftraggeber gelten wiederrum andere Fristen.
Bei offenen Verfahren, nicht offenen Verfahren und Verhandlungsverfahren sollten Unternehmen vor allem folgende Fristen im Blick behalten:
Teilnahmeantragsfrist
Im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung und beim Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung müssen sich Unternehmen in einem ersten Schritt um die Teilnahme am Vergabeverfahren bewerben, bevor sie ein Angebot legen dürfen. Dafür müssen sie rechtzeitig einen Teilnahmeantrag stellen. Im Oberschwellenbereich beträgt die Frist dafür mindestens 30 Tage. Im Unterschwellenbereich sind es mindestens 14 Tage. Auf Grundlage der Teilnahmeanträge wählen Auftraggeber jene Bewerber aus, die sie zur Angebotslegung auffordern.
Angebotsfrist
Die Angebotsfrist ist der Zeitraum, in denen das Angebot bei Auftraggebern eingehen muss. Die Länge dieser Frist geben Auftraggeber vor. Dabei ist er an bestimmte gesetzliche Mindestfristen gebunden, die je nachdem, ob der Auftrag im Ober- oder Unterschwellenbereich liegt, unterschiedlich sind:
-
Im Oberschwellenbereich
Beim offenen Verfahren muss die Angebotsfrist mindestens 30 Tage betragen.
Bei zweistufigen Verfahren muss die Frist mindestens 25 Tage dauern, wenn zentrale öffentliche Auftraggeber (Bundesministerien, Bundeskanzleramt, BBG, AIT und BRZ) den Auftrag vergeben. Alle anderen öffentlichen Auftraggeber können die Frist mit den ausgewählten Bewerbern vereinbaren. Sollten sie das nicht tun, muss die Frist mindestens zehn Tage betragen. -
Im Unterschwellenbereich
Beim offenen Verfahren muss die Frist mindestens 20 Tage dauern. Bei zweistufigen Verfahren sind es mindestens zehn Tage.
Zuschlagsfrist
Nachdem die Angebote eingelangt sind, müssen Auftraggeber den Zuschlag innerhalb der Zuschlagsfrist erteilen. Diese dauert maximal fünf Monate (in Ausnahmefällen auch sieben Monate).
Wichtig für Bieter: Bieter sind bis zur Zuschlagerteilung an ihr Angebot gebunden!
Können öffentliche Auftraggeber diese Fristen kürzen oder verlängern?
Ja. Wenn zum Beispiel ein Auftrag dringend vergeben werden sollte, kann die Teilnahmefrist von mindestens 30 auf 15 Tage verkürzt werden. In bestimmten Fällen müssen öffentliche Auftraggeber außerdem die Angebotsfrist verlängern. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Ausschreibungsunterlagen berichtigt werden und daher eine längere Angebotsfrist notwendig ist.
Es passiert öfter, dass Bieter, die nicht zum Zug kommen, falsche Rechtsmittel erheben. Im schlimmsten Fall versäumen sie dadurch wichtige Fristen und ihr Anliegen kann nicht mehr geprüft werden. Solange ein Vergabeverfahren noch nicht beendet wurde, können die Entscheidungen des Auftraggebers in einem Nachprüfungsverfahren überprüft werden.
Nach der Zuschlagserteilung bzw. der Erklärung des Widerrufs kann nur mehr die Feststellung des rechtswidrigen Verhaltens der Auftraggeber beantragt werden. Ein Nachprüfungsantrag ist nicht mehr möglich. Feststellungsanträge sind aber nur zulässig, wenn der behauptete Rechtsverstoß nicht schon während eines Nachprüfungsverfahrens hätte geltend gemacht werden können.
Schriftlicher und fristgerechter Antrag beim Verwaltungsgericht
Vor Ende des Vergabeverfahrens kann können Unternehmer bei jeder gesondert anfechtbaren Entscheidung der Auftraggeber beantragen, dass sie vom Verwaltungsgericht nachgeprüft und für nichtig erklärt werden.
Der Nachprüfungsantrag muss
- schriftlich
- innerhalb der Frist (in der Regel 10 bzw. 15 Tage ab Kenntnis der Entscheidung) und
- direkt beim zuständigen Verwaltungsgericht (nicht Auftraggebern)
eingebracht werden. Sobald Antragsfristen abgelaufen sind, gelten die Entscheidungen grundsätzlich als "bestandsfest" und können später nicht mehr angefochten werden.
Inhalt des Nachprüfungsantrags
Im Antrag müssen Antragsteller neben einer Reihe von Informationen zum Vergabeverfahren die Nichtigerklärung der Entscheidung beantragen und folgende Punkte ausführen:
- Beschreibung des Sachverhalts, einschließlich ihres Interesses am Vertragsabschluss
- Angaben über den behaupteten drohenden oder bereits entstandenen Schaden
- Rechte, in denen Antragsteller verletzt wurden
- Gründe für die Rechtswidrigkeit der Entscheidung
- Angaben über die Einhaltung der Frist
Gegen welche Entscheidungen kann ein Nachprüfungsantrag gestellt werden?
Je nach Verfahrensart können zum Beispiel folgende Entscheidungen angefochten werden:
- Ausschreibung und Ausschreibungsunterlagen
- Entscheidungen während der Angebotsfrist
- das Ausscheiden eines Angebots
- die Zuschlagsentscheidung oder Widerrufsentscheidung
- die Nicht-Zulassung zur Teilnahme und die Aufforderung zur Angebotsabgabe
- die Bekanntmachung (bei Direktvergaben mit Bekanntmachung)
- die Entscheidung, mit welchem Unternehmer die Rahmenvereinbarung abgeschlossen wird
Achtung!
Ein Antrag auf Nachprüfung hat keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass das Vergabeverfahren weiterläuft, bis das Gericht eine Entscheidung trifft. Antragsteller sollten also zusätzlich einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung stellen.
Das Vergabeverfahren ist von zahlreichen Fristen geprägt, die Auftraggeber, Bewerber und Bieter einhalten müssen. In diesem Beitrag sehen wir uns an, wie Beginn und Ende von Fristen richtig bemessen werden.
Wochenende und Feiertage
Allgemein gilt: Fällt der letzte Tag einer Frist auf den Karfreitag, einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, so endet die Frist um 24.00 Uhr des folgenden Arbeitstages. Als Arbeitstage gelten alle Tage außer Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage.
Beginn und Ende von Fristen, die in Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren ausgedrückt sind
Solche Fristen beginnen um 00.00 Uhr des Tages, an dem die Frist zu laufen beginnt.
Wenn aber für den Beginn der Frist der Zeitpunkt maßgebend ist,
- in welchem ein Ereignis eintritt oder
- eine Handlung vorgenommen wird,
dann wird bei der Berechnung dieser Frist der Tag nicht mitgerechnet, in den dieses Ereignis oder diese Handlung fällt.
Beispiel: Für den Beginn der Angebotsfrist im offenen Verfahren im Unterschwellenbereich ist die erste Verfügbarkeit der Bekanntmachung maßgebend. Die vom Auftraggeber festgelegte Angebotsfrist beträgt 30 Tage. Wenn die Bekanntmachung am 2. März 2023 zum ersten Mal verfügbar ist, beginnt die Frist am 3. März um 00.00 Uhr zu laufen. Da aber der letzte Tag der Frist (30 Tage später) auf Samstag, den 1. April 2023 fallen würde, endet die Frist erst am Montag, 3. April um 24 Uhr.
Fristen enden
- um 24 Uhr des letzten Tages der Frist, wenn die Frist in Tagen bemessen ist, sonst
- um 24 Uhr an dem Tag der letzten Woche, des letzten Monats oder des letzten Jahres der Frist, der dem Tag, an dem sie zu laufen beginnt entspricht (nach seiner Bezeichnung oder nach seiner Zahl). Wenn ein entsprechender Tag bei einer nach Monaten bemessenen Frist fehlt, endet die Frist am letzten Tag des letzten Monats.
Beispiel: Eine Frist beträgt 4 Wochen und beginnt am Donnerstag, den 2. März 2023 um 00.00 Uhr. Die Frist endet am Donnerstag, den 30. März 2023 um 24:00 Uhr.
Fristen, die in Stunden ausgedrückt sind
Solche Fristen beginnen am Anfang der ersten Stunde, zu der die Frist zu laufen beginnt. Wenn die Frist mit dem Eintritt eines Ereignisses oder einer Handlung beginnt, wird bei der Berechnung dieser Frist die Stunde nicht mitgerechnet, in die dieses Ereignis oder diese Handlung fällt. Die Frist endet dann mit Ablauf der letzten Stunde der Frist.
Wird ein Nachprüfungsantrag nicht innerhalb der Frist eingebracht, ist er verspätet. Das Verwaltungsgericht muss den Antrag zurückweisen, ohne sich damit inhaltlich zu befassen. Haben Antragsteller die Frist jedoch wegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses versäumt, können sie einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen.
Was ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand?
Durch eine Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.
Wann kann ein Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt werden?
Eine Wiedereinsetzung ist nur bei sogenannten "prozessualen" Fristen möglich. Das sind Zeiträume, bis zu deren Ablauf eine Partei eine bestimmte Prozesshandlung vornehmen kann oder muss. Im Vergaberecht ist das zum Beispiel die Frist für den Nachprüfungsantrag.
Wird hingegen die Frist zur Einbringung eines Feststellungsantrags oder die Teilnahme- bzw. die Angebotsfrist versäumt, ist eine Wiedereinsetzung nicht möglich.
Was sind die Voraussetzungen?
Die Partei muss glaubhaft machen, dass
- sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis
- eine Frist oder eine mündliche Verhandlung versäumt
- und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet.
Ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis ist zum Beispiel eine plötzliche, schwere Erkrankung.
Die Partei muss nicht gänzlich unverschuldet die Frist versäumt haben, auch bei leichter Fahrlässigkeit muss das Gericht die Wiedereinsetzung bewilligen.
Wie schnell muss der Antrag gestellt werden?
Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses gestellt werden. Gleichzeitig muss die versäumte Handlung gesetzt werden. Der Nachprüfungsantrag muss also gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung eingebracht werden.
Öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber müssen sich bei der Festlegung der Teilnahmeantragsfristen und der Angebotsfristen an gesetzliche Mindestfristen halten. Sie können diese regulären Fristen aber verkürzen und ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren durchführen. Auftraggeber müssen vor der Bekanntmachung entscheiden, dass die Frist verkürzt wird. Die Frist darf nämlich nicht während eines laufenden Vergabeverfahrens verkürzt werden.
Oberschwellenbereich: Kürzung nur bei Dringlichkeit und Vorsicht auf Mindestfristen
Im Oberschwellenbereich dürfen Fristen nur gekürzt werden, sofern wegen Dringlichkeit die Einhaltung der regulären Fristen nicht möglich ist. Auftraggeber müssen die Dringlichkeit hinreichend begründen. Die Gründe dürfen für Auftraggeber weder vorhersehbar noch beeinflussbar gewesen sein. Sie dürfen sie auch nicht verursacht haben.
Außerdem müssen auch bei der Kürzung gesetzliche Mindestfristen eingehalten werden. Bei beschleunigten Verfahren im Oberschwellenbereich sind daher erlaubt:
- im offenen Verfahren eine Angebotsfrist von mindestens 15 Tagen (statt 30 Tagen).
- im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung und im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung eine Teilnahmeantragsfrist von mindestens 15 Tagen (statt 30 Tagen) und eine Angebotsfrist von mindestens 10 Tagen (statt 25 Tagen).
Unterschwellenbereich: mehr Gründe zu Kürzen
Im Unterschwellenbereich dürfen Auftraggeber die Fristen nicht nur bei Dringlichkeit, sondern auch bei anderen besonders begründeten Fällen verkürzen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Aufträge mit kleinen Auftragswerten vergeben werden und eine längere Frist dazu führen würde, dass es durch Verzögerung zu Nachteilen kommt. Die Gründe für die Verkürzung müssen schriftlich festgehalten werden.
Die Fristkürzung ist in zwei Fällen zulässig:
- bei Lieferaufträgen über Waren "von der Stange" (seriengefertigte Waren, die nicht mehr individuell an den Kunden angepasst werden)
- oder wenn eine Vorinformation im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht wird.
Im Unterschwellenbereich müssen Auftraggeber bei der Kürzung keine Mindestfristen einhalten. Sie müssen die Fristen aber stets so bemessen, dass den Bietern genügend Zeit zur Erstellung des Teilnahmeantrages oder des Angebotes bleibt.
Das Vergabeverfahren neigt sich dem Ende zu und den Bietern wird die Zuschlagsentscheidung mitgeteilt. Diese Mitteilung löst zwei wichtige Fristen aus: Die Stillhaltefrist und die Frist zur Einbringung eines Nachprüfungsantrags. Erstere bindet den Auftraggeber und hindert ihn daran, den Zuschlag frühzeitig – vor Ablauf der Stillhaltefrist – zu erteilen. Zweitere bestimmt, wie lange Bieter die Zuschlagsentscheidung anfechten können.
Die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung
Die Zuschlagsentscheidung gibt lediglich die Absicht des Auftraggebers bekannt, den Zuschlag einem gewissen Bieter zu erteilen. Die vertragliche Bindung mit dem Auftragnehmer entsteht erst nach Ablauf der Stillhaltefrist, in der Regel mit Zuschlagserteilung. Die Zuschlagsentscheidung muss grundsätzlich allen im Vergabeverfahren verbliebenen Bietern – das sind alle Bieter, die nicht rechtskräftig ausgeschieden wurden – mitgeteilt werden. Die Mitteilung muss folgenden Inhalt aufweisen:
- das jeweilige Ende der Stillhaltefrist,
- die Gründe für die Ablehnung des Angebotes der Bieter,
- den Gesamtpreis sowie
- die Merkmale und Vorteile des erfolgreichen Angebotes.
In Ausnahmefällen kann die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung entfallen, und zwar, wenn die Bekanntgabe dieser Informationen öffentlichen Interessen oder den berechtigten Geschäftsinteressen von Unternehmern widerspricht oder dem freien und lauteren Wettbewerb schaden würde.
Eine Verpflichtung zur Mitteilung der Zuschlagsentscheidung besteht u.a. auch dann nicht, wenn der Zuschlag dem der einzigen bzw. dem einzigen im Verfahren verbliebenen Bieter erteilt werden soll. In diesen Fällen gibt es keine Stillhaltefrist, der Zuschlag kann sofort erteilt werden.
Die in der Mitteilung bekanntzugebenden Informationen sollen Bieter in die Lage versetzen, einen begründeten Nachprüfungsantrag einbringen zu können. Eine mangelhafte Begründung kann zur Anfechtbarkeit der (rechtswidrigen) Zuschlagsentscheidung führen.
Die Anfechtungsfrist
Wollen Bieter gegen eine Zuschlagsentscheidung vorgehen, müssen sie die Anfechtungsfrist im Auge behalten: Die Zuschlagsentscheidung ist die letzte gesondert anfechtbare Entscheidung in einem Vergabeverfahren. Ihre Mitteilung löst eine Frist aus, innerhalb derer ein Nachprüfungsantrag an die Vergabekontrollinstanz gestellt werden kann. Die Anfechtungsfrist beträgt 10 Tage, wenn die Bereitstellung bzw. Übermittlung der Mitteilung elektronisch erfolgt ist und 15 Tage, wenn sie in sonstiger Form geschehen ist.
Der Nachprüfungsantrag hat keine aufschiebende Wirkung auf das laufende Vergabeverfahren. Das bedeutet, dass Auftraggeber das Verfahren weiterführen können, obwohl ein Nachprüfungsantrag eingebracht wurde. Wollen Antragsteller daher einen Fortgang des Verfahrens – und damit die Zuschlagserteilung – verhindern, müssen sie zusätzlich einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung einbringen.
Nach einer Entscheidung des EuGH und einem Teil der Lehre kann eine mangelhafte Begründung der Zuschlagsentscheidung Auswirkungen auf die Anfechtungsfrist haben. Demnach beginnt diese erst bei Kenntnis über alle für den Nachprüfungsantrag erforderlichen Entscheidungsgründe zu laufen, weil der Bieter erst zu diesem Zeitpunkt in der Lage ist, wirksam gegen die Entscheidung vorgehen zu können. Die Anfechtungsfrist kann in diesen Fällen somit über den Ablauf der Stillhaltefrist hinausgehen.
Nach der Ansicht des VwGH und der herrschenden Lehre liegt jedoch auch bei einer nicht ausreichenden Begründung eine wirksame Zuschlagsentscheidung vor, die als gesondert anfechtbare Entscheidung innerhalb der (normalen) Frist zu bekämpfen ist. Für das Vorliegen einer gültigen Zuschlagsentscheidung reicht es demnach aus, wenn eine nach außen ergangene Erklärung des Auftraggebers vorliegt, aus der ersichtlich ist, an welche Bieter der Zuschlag beabsichtigt ist. Läuft die 10- bzw. 15-tägige Frist ab Mitteilung der Zuschlagsentscheidung anfechtungslos ab, kann ein erteilter Zuschlag auch nicht mehr in einem Feststellungsverfahren für nichtig erklärt werden.
Verletzung der Stillhaltefrist: Absolute Nichtigkeit der Zuschlagserteilung
Die Stillhaltefrist ist die Zeit zwischen der Bereitstellung bzw. Übermittlung der Mitteilung der Zuschlagsentscheidung und der Zuschlagserteilung. Sie bindet Auftraggeber dahingehend, dass sie vor deren Ablauf den Zuschlag nicht erteilen dürfen, andernfalls die Zuschlagserteilung absolut nichtig ist. Die Frist beträgt – wie die Anfechtungsfrist – 10 bzw. 15 Tage.
Die Stillhaltefrist beginnt unabhängig davon zu laufen, ob die Zuschlagsentscheidung – etwa aufgrund einer mangelhaften Begründung – rechtswidrig ist oder nicht. Haben Auftraggeber das Ende der Stillhaltefrist irrtümlicherweise zu lange berechnet und die Frist den Bietern bekannt gegeben, sind sie an diese längere Frist gebunden.
Ob Pandemie, dringende Hilfeleistung oder Waldbrand: Auch in Krisenzeiten ist das Vergaberecht anwendbar und sieht für diese Ausnahmesituationen gewisse Erleichterungen für Beschaffungsprozesse vor. Auftraggeber haben bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Möglichkeit, die Teilnahmeantrags- und Angebotsfristen zu verkürzen oder ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchzuführen.
Beschleunigung des Verfahrens: Verkürzung der Angebots- und Teilnahmefristen
Im offenen Verfahren, im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung sowie im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung können öffentliche Auftraggeber verkürzte Angebots- und Teilnahmefristen festlegen, wenn die Einhaltung der regulären Fristen wegen Dringlichkeit unmöglich ist. Dringliche Gründe sind solche, die für öffentlichen Auftraggeber weder vorhersehbar noch beinflussbar sind und nicht von ihnen verursacht wurden.
Im Oberschwellenbereich können folgende verkürzte Fristen festgelegt werden:
- im offenen Verfahren eine Angebotsfrist von mindestens 15 Tagen (statt 30 Tagen)
- im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung und im Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung eine Teilnahmeantragsfrist von mindestens 15 Tagen (statt 30 Tagen) und eine Angebotsfrist von mindestens 10 Tagen (statt 25 Tagen bei zentralen öffentlichen Auftraggebern wie den Bundesministerien; für nicht zentrale Auftraggeber beträgt die reguläre Mindestangebotsfrist 10 Tage).
Im Unterschwellenbereich gibt es keine Mindestvorgaben für verkürzte Fristen. Öffentliche Auftraggeber haben jedoch bei deren Festlegung die Grundsätze für die Bemessung von Fristen einzuhalten. Das bedeutet, dass auch bei Vorliegen dringlicher Gründe den Bewerbern und Bietern hinreichend Zeit zur Erstellung des Teilnahmeantrags oder des Angebots verbleiben muss. In diesem Zusammenhang ist etwa die Komplexität des Leistungsgegenstandes zu berücksichtigen. Die Gründe für eine Verkürzung der Fristen sind von öffentlichen Auftraggebern schriftlich zu dokumentieren.
Eine Verkürzung der Angebots- und Teilnahmefristen in bereits laufenden Vergabeverfahren ist übrigens nicht zulässig. Auftraggeber sind an die Vorschriften des einmal gewählten Verfahrens bis zur endgültigen Vergabe gebunden.
Wenn eine Verkürzung der Fristen nicht ausreicht: Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung
Wenn äußerst dringliche, zwingende Gründe selbst die Einhaltung der verkürzten Fristen nicht zulassen, können öffentliche Auftraggeber ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung durchführen. Diese Verfahrensart darf jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen durchgeführt werden und deren Wahl muss im Vergabevermerk begründet werden. Folgende Voraussetzungen müssen erfüllt werden:
- Vorliegen eines unvorhersehbaren Ereignisses: Unvorhersehbar sind Ereignisse, die den üblichen Rahmen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens sprengen und die in der Praxis als „höhere Gewalt“ bezeichnet werden. Das sind zum Beispiel nicht jährlich auftretende Naturkatastrophen, Waldbrände bzw. Ereignisse, die dringende Lieferungen für Hilfeleistung und/oder Opferschutz erfordern. Das bloße Vorschreiben von Fristen in einem Genehmigungsverfahren durch eine Behörde ist jedenfalls kein unvorhersehbares Ereignis.
- Vorliegen äußerst dringlicher, zwingender Gründe: Derartige Gründe liegen etwa dann vor, wenn wichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben beeinträchtigt werden, wie etwa eine Pandemie oder ein bevorstehender Terrorakt. Die Dringlichkeit geht über die dringlichen Gründe bei beschleunigten Verfahren hinaus, insbesondere muss die Einhaltung der (verkürzten) Fristen unmöglich sein. Die äußerst dringlichen zwingenden Gründe dürfen darüber hinaus nicht den Auftraggebern zuzuschreiben sein (etwa weil dieser mit dem Beginn einer Beschaffung zu lange gewartet hat).
- Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem unvorhersehbaren Ereignis und den sich daraus ergebenden äußerst dringlichen zwingenden Gründen.
Durch ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung können dringende Bedürfnisse kurzfristig gedeckt werden bis eine langfristige Lösung gefunden wird. Mit anderen Worten darf mit diesem Ausnahmeverfahren nur jene Menge an Waren bzw. Leistungen beschafft werden, die aufgrund der konkreten Krisensituation unbedingt erforderlich sind.
Bei der Abwicklung eines Vergabeverfahrens gibt es jede Menge Fristen zu beachten. Der öffentliche Auftraggeber hat die für ein Vergabeverfahren erforderlichen Fristen in den Ausschreibungsunterlagen so festzulegen, dass den teilnehmenden Unternehmen ausreichend Zeit für die entsprechenden Handlungen bleibt. Speziell bei Teilnahmeantrags– und Angebotsfristen sowie Fristen für die Ausarbeitung von Lösungen im wettbewerblichen Dialog ist beispielsweise die Komplexität des Leistungsgegenstandes zu berücksichtigen. Dem Unternehmer muss genügend Zeit für die Erstellung des Teilnahmeantrages, Angebotes bzw. der Lösung bleiben.
Fristen in Vergabeverfahren im Unter- und Oberschwellenbereich:
Unabhängig davon, ob ein Vergabeverfahren im Ober- oder Unterschwellenbereich liegt, muss der Auftraggeber bei der Festlegung von Auskunfts- und Verbesserungsfristen folgendes beachten:
- Auskunftsfrist: Wenn Teilnehmer eines Vergabeverfahrens den Auftraggeber zeitgerecht um zusätzliche Auskünfte ersuchen, muss der Auftraggeber diese Auskünfte unverzüglich, jedoch spätestens sechs Tage bzw. bei beschleunigten Verfahren spätestens vier Tage vor Ablauf der Frist für den Eingang der Angebote bzw. Teilnahmeanträge allen Teilnehmern zur Verfügung stellen.
- Verbesserungsfrist: Wenn der Unternehmer unvollständige oder fehlerhafte Unterlagen übermittelt hat, fordert der Auftraggeber diesen unter Einräumung einer angemessenen Frist zur Übermittlung, Ergänzung oder Erläuterung auf. Bei derart mangelhaften Unterlagen, die zum Ausschluss des Unternehmers vom Vergabeverfahren führen, muss der Auftraggeber nicht zur Nachreichung und Ergänzung von Unterlagen auffordern. Der Auftraggeber legt in der Regel bereits in den Ausschreibungsunterlagen fest, was eine angemessene Frist ist.
Fristen in Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich
Je nachdem welches Vergabeverfahren der Auftraggeber wählt, hat der Auftraggeber unterschiedliche Fristen zu beachten. In zweistufigen Verfahren (nicht offenes Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog, Innovationspartnerschaft oder dynamisches Beschaffungssystem) muss der Auftraggeber die Teilnahmeantragsfrist für das Einbringen der Teilnahmeanträge sowie die Angebotsfrist für die Angebotsabgabe festlegen. In einstufigen Verfahren ist nur die Angebotsfrist zu beachten.
- Teilnahmeantragsfrist: Für den Eingang der Teilnahmeanträge hat der Auftraggeber eine Frist von mindestens 30 Tagen festzulegen.
Hinweis: Die Teilnahmeantragsfrist von mindestens 30 Tagen kann bei Vorliegen von begründeter Dringlichkeit (z.B. dringender Beschaffungsbedarf an zusätzlicher Homeoffice-Infrastruktur während des Corona-Lockdowns) auf 15 Tage verkürzt werden.
- Angebotsfrist: Bei zweistufigen Verfahren hängt die Dauer der Angebotsfrist davon ab, wer Auftraggeber ist. Vergeben zentrale öffentliche Auftraggeber (das sind die Bundesministerien, das Bundeskanzleramt, das AIT, die BBG und das BRZ) einen Auftrag im Rahmen eines nicht offenen Verfahrens oder eines Verhandlungsverfahrens, ist die Angebotsfrist mit mindestens 25 Tagen und im Falle der Beschaffung im Wege eines dynamischen Beschaffungssytems im Ausmaß von mindestens 10 Tagen festzulegen. Bei Vergaben von anderen öffentlichen Auftraggebern kann die Angebotsfrist mit den in der ersten Stufe ausgewählten Bewerbern einvernehmlich festgelegt werden. Wird die Angebotsfrist nicht einvernehmlich festgelegt, hat diese mindestens 10 Tage zu betragen.
Bei einem einstufigen Verfahren (offenes Verfahren) hat der öffentliche Auftraggeber die Frist für den Eingang der Angebote mit mindestens 30 Tagen festzulegen.
Hinweis: In bestimmen Fällen, insbesondere wenn die Ausschreibungsunterlagen nicht elektronisch zur Verfügung gestellt werden oder wenn die Angebote nicht elektronisch eingereicht werden können, ist die Angebotsfrist um fünf Tage zu verlängern.
Angebotsfristen sind weiters dann zu verlängern, wenn infolge von Berichtigungen der Ausschreibungsunterlagen eine längere Frist für die Erstellung der Angebote erforderlich ist oder wenn zusätzliche Auskünfte nicht innerhalb der Auskunftsfrist gestellt werden. In diesen Fällen ist die Angebotsfrist im Verhältnis zur Bedeutung der geänderten Information angemessen zu verlängern.
Angebotsfristen können aber auch verkürzt werden, wenn eine Vorinformation mindestens 35 Tage und höchstens 12 Monate vor der Auftragsbekanntmachung erfolgte oder dringende Gründe vorliegen. Im offenen Verfahren kann die Angebotsfrist diesfalls auf 15 Tage und im nicht offenen Verfahren oder Verhandlungsverfahren auf 10 Tage verkürzt werden.
Fristen in Vergabeverfahren im Unterschwellenbereich:
Ebenso wie im Oberschwellenbereich haben Auftragnehmer im Unterschwellenbereich bei der Abwicklung von zweistufigen Verfahren die Teilnahmeantrags- und die Angebotsfrist, in einstufigen Verfahren nur die Angebotsfrist festzulegen. Im Vergleich zum Oberschwellenbereich sind die Fristen im Unterschwellenbereich kürzer.
- Teilnahmeantragsfrist: Die Frist für den Eingang der Teilnahmeanträge beträgt mindestens 14 Tage.
- Angebotsfrist: Bei einem offenen Verfahren hat der öffentliche Auftraggeber die Angebotsfrist mit mindestens 20 Tagen zu wählen. Bei zweistufigen Verfahren beträgt die Angebotsfrist hingegen mindestens zehn Tage, wobei der Auftraggeber beim dynamischen Beschaffungssystem einvernehmlich eine kürzere Frist festlegen kann.
Weitere Fristen im Vergabeverfahren:
Nach Abgabe der Angebote hat der Auftraggeber einerseits die Zuschlags- und andererseits die Stillhaltefrist zu beachten:
- Zuschlagsfrist: Die Zuschlagsfrist bezeichnet den Zeitraum zwischen dem Ende der Angebotsfrist und dem Zeitpunkt der Zuschlagserteilung (= Annahme des Angebots). Diese ist kurz zu halten und darf (außer in Ausnahmefällen) fünf Monate nicht überschreiten. Der Bieter ist während der Zuschlagsfrist an sein Angebot gebunden ist. Er darf sein Angebot somit innerhalb dieses Zeitraums weder verändern noch zurückziehen. Ist in der Ausschreibung keine Zuschlagsfrist angegeben, gilt sie als mit einem Monat festgesetzt.
- Stillhaltefrist: Mit der Mitteilung der Entscheidung, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll (= Zuschlagsentscheidung, beginnt die Stillhaltefrist. Die Stillhaltefrist beträgt bei Abwicklung einer eVergabe 10 Tage, ansonsten 15 Tage. Während der Stillhaltefrist darf der Auftraggeber den Zuschlag nicht erteilen, andernfalls ist dieser absolut nichtig. Die Stillhaltefrist hat den Zweck, dass ein unterlegener Bieter die Zuschlagsentscheidung durch ein Vergabekontrollgericht prüfen lassen kann, bevor der Vertrag mit dem erfolgreichen Bieter tatsächlich abgeschlossen wird.
Beginn der Fristen und deren Berechnung:
- Die Teilnahmeantragsfrist beginnt im Oberschwellenbereich mit dem Tag der Absendung der Bekanntmachung an das Amt für Veröffentlichungen bzw. mit dem Tag der Absendung der Aufforderung zur Interessensbestätigung, falls die Bekanntmachung im Wege einer Vorinformation erfolgt ist. Im Unterschwellenbereich beginnt die Frist mit der erstmaligen Verfügbarkeit der Bekanntmachung zu laufen.
- Die Angebotsfrist beginnt im Oberschwellenbereich beim offenen Verfahren mit dem Tag der Absendung der Bekanntmachung an das Amt für Veröffentlichungen. Bei zweistufigen Verfahren beginnt die Angebotsfrist hingegen mit dem Tag der Absendung der Aufforderung zur Angebotsabgabe. Im Unterschwellenbereich beginnt sie mit der erstmaligen Verfügbarkeit der Bekanntmachung zu laufen.
- Bei der Berechnung der Fristen in Vergabeverfahren ist zu beachten, dass alle Tage außer Samstage, Sonntage und gesetzliche Feiertage als Arbeitstage gelten. Fristen, die in Tagen angegeben sind, beginnen um 00:00 Uhr des ersten Tages, an dem die Frist zu laufen beginnt. Für den Beginn einer nach Tagen bemessenen Frist wird der Tag des fristauslösenden Ereignisses nicht mitgerechnet. Eine nach Tagen bemessene Frist endet mit Ablauf der letzten Stunde des letzten Tages der Frist. Ist eine Frist in Stunden angegeben, beginnt sie am Anfang der ersten Stunde und endet mit Ablauf der letzten Stunde.
Falls der letzte Tag einer Frist auf den Karfreitag, einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fällt, endet die Frist um 24:00 Uhr des darauffolgenden Arbeitstages.
Beispiel: Bei einer Frist von 30 Tagen und einem fristauslösenden Ereignis am 1. März 2021 endet die Frist somit am 31. März 2021 um 24:00 Uhr.
Auch bei Fristen, die von einem bestimmten Ereignis zurückgerechnet werden (wie z.B. Erteilung von Auskünften vier bzw. sechs Tage vor Ablauf der Angebotsfrist), wird das fristauslösende Ereignis (z.B. Tag des Ablaufs der Angebotsfrist) nicht miteingerechnet.
Beispiel: Endet die Angebotsfrist am 15. November um 12:00 Uhr, so müssen zusätzliche Auskünfte bis spätestens 8. November 24:00 Uhr bereitgestellt werden.
Hinweis: Für die Berechnung der Fristen in Vergabekontrollverfahren kommen die Regelungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) zur Anwendung.
Verzögerungen in der Lieferkette, Quarantänevorschriften und andere Einschränkungen führen dazu, dass Leistungsfristen aktuell nicht eingehalten werden (können). Besonders brisant wird es, wenn der Leistungsverzug Vertragsstrafen auslöst. Der Gesetzgeber hat darauf reagiert, dabei aber Spezifika des Vergaberechts nicht berücksichtigt.
Ausgangslage
Häufig sind in den Vertragsbestimmungen öffentlicher Aufträge Vertragsstrafen (Konventionalstrafen) für den Fall des Leistungsverzugs durch den Auftragnehmer vorgesehen. Mitunter werden Vertragsstrafen verschuldensunabhängig festgelegt.
Während der COVID19-Pandemie kam es zu zahlreichen Einschränkungen des Wirtschaftslebens, welche die rechtzeitige Leistung faktisch unmöglich machten (und machen). Regelmäßig sind etwa Auftragnehmer selbst auf ihre Zulieferer im Ausland angewiesen und können bei Nichteinlangen von deren Zulieferteilen das Produkt nicht fertigstellen. Genauso kann es passieren, dass das Bauwerk in einer unter Quarantäne gestellten Gemeinde zu errichten ist – oder ein Mitarbeiter des Unternehmens erkrankt an CODIV19 und ein Großteil der Arbeitskräfte dürfen ihren Dienst vorläufig nicht am Arbeitsplatz erbringen.
Wie ist damit umzugehen, dass Auftragnehmer unverschuldet in Leistungsverzug geraten? Und wie kann in Vergabeverfahren auf diesen Umstand reagiert werden?
COVID19-Gesetzespaket
Der Gesetzgeber reagierte im Rahmen des 4. COVID19-Gesetzespaketes (in Kraft getreten am 05.04.2020) auf den Fall, dass dem Schuldner die Erbringung seiner Leistung wegen der durch die COVID19-Pandemie verursachten Beschränkungen des Erwerbslebens verunmöglicht wird. Konkret müssen gemäß § 4 des 2. COVID19-Justiz-Begleitgesetzes bei Verträgen, die vor dem 01.04.2020 eingegangen wurden, Vertragsstrafen nicht gezahlt werden, wenn der Leistungsverzug durch die COVID19-Pandemie verursacht wurde. Die Regelung soll damit vor Vertragsklauseln über verschuldensunabhängige Vertragsstrafen schützen, auf die sich die Vertragsparteien vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie geeinigt hatten. Verschuldensunabhängige Vertragsstrafen finden sich auch in der Vergabepraxis zuweilen in den Vertragsmustern oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen von öffentlichen Auftraggebern.
Zivilrechtliches Detail am Rande: Die Gesetzesformulierung („… ist er nicht verpflichtet, eine vereinbarte Konventionalstrafe … zu zahlen“) lässt auf eine „Naturalobligation“ schließen. Das bedeutet, die Vertragsstrafe kann zwar nicht zwangsweise durchgesetzt werden. Bezahlt aber der Auftragnehmer die Vertragsstrafe, kann er sie nicht wieder zurückverlangen.
Vertragsverhältnisse, die ab dem 01.04.2020 eingegangen werden, sind von diesem Privileg nicht erfasst, weil hier die COVID19-Pandemie bereits bekannt war und die Vertragsparteien diese im Vertrag berücksichtigen hätten können.
Auswirkungen
Bei bis Ende März geschlossenen Verträgen ist die Gesetzeslage klar: Vertragsstrafen müssen nicht bezahlt werden. Das gilt auch für Zuschläge auf Basis des BVergG 2018, die vor dem 01.04.2020 erteilt wurden.
Problematisch wird es, wenn Bieter im Vergabeverfahren ein verbindliches Angebot bereits vor dem 01.04.2020 abgegeben haben, dieses Angebot aber erst ab dem 01.04.2020 vom Auftraggeber angenommen wird bzw. wurde. Hier greift nämlich der Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung aus dem COVID19-Gesetz nicht (abgestellt wird drauf, wann das „Vertragsverhältnis eingegangen wird“). Das ist für den Auftragnehmer jedenfalls sehr nachteilig, wenn die COVID19-Pandemie zum Zeitpunkt der Angebotslegung nicht vorhersehbar war und er wegen der COVID19-Einschränkungen eine Vertragsstrafe leisten muss, zu der er im Extremfall wirtschaftlich nicht einmal mehr in der Lage ist. Aber auch für den Auftraggeber kann es unangenehm sein, die Vertragsstrafe einzufordern (zumal den handelnden Personen beim AG treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden könnte, wenn sie die zustehende Vertragsstrafe wissentlich nicht geltend machen – vgl dazu unten). Die Vertragsstrafe ist nämlich nicht geeignet, den Auftragnehmer zur Einhaltung der Leistungsfristen zu veranlassen aber verschlechtert massiv das Verhältnis zum Auftragnehmer bzw kann im Extremfall dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit endgültig zerstören.
Wie Auftraggeber und Auftragnehmer mit dieser Situation umgehen sollten
Läuft das Vergabeverfahren noch, kommt es darauf an, in welchem Stadium sich das Vergabeverfahren befindet und welche Verfahrensart gewählt wurde (wobei hier zur Vereinfachung nur auf die beiden gängigsten Verfahrensarten eingegangen wird):
Ist die Angebotsfrist noch nicht abgelaufen, kann der Auftraggeber in der Ausschreibung die Bedingungen für Vertragsstrafen anpassen und erforderlichenfalls die Angebotsfrist verlängern. Für die Formulierung kann der Gesetzestext als Anhaltspunkt genommen werden (zB „Gerät der Schuldner im Zeitraum zwischen Vertragsabschluss und [Angabe eines sinnvollen Datums je nach Auftragsinhalt – das COVID19-Gesetz stellt auf den 30.06.2022 ab] in Verzug, weil er als Folge der COVID19-Pandemie entweder in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist oder die Leistung wegen der Beschränkungen des Erwerbslebens nicht erbringen kann, ist er nicht verpflichtet, die vereinbarte Konventionalstrafe zu zahlen.“). Eine derartige Anpassung übersteigt uE nicht das zulässige Ausmaß von Berichtigungen (VwGH 12.09.2013, 2010/04/0119). Auch den Bietern steht es frei, die Änderung während der Angebotsfrist im Rahmen von Fragenstellung anzuregen und erforderlichenfalls bis zum Ende der Frist ihr Angebot zurückzuziehen.
Ist die Angebotsfrist bereits abgelaufen,
- gilt im offenen Verfahren das „Verhandlungsverbot“. Das Angebot kann nicht mehr geändert werden und der Auftraggeber steht vor der Wahl, dieses anzunehmen (und damit die Konventionalstrafe in Geltung zu setzen) oder das Vergabeverfahren zu widerrufen.
- Im Verhandlungsverfahren besteht mehr Spielraum. Der Auftraggeber hat im Einzelfall zu beurteilen, ob die Bedingungen für Vertragsstrafen im Rahmen weiterer Angebots- oder Verhandlungsrunden noch abgeändert werden können.
Ist das Vergabeverfahren bereits abgeschlossen, wurde also der Zuschlag ab dem 01.04.2020 einem vor der COVID19-Pandemie gelegten Angebot erteilt, greift der gesetzliche Ausschluss von Konventionalstrafen wie oben dargestellt nicht. Auftraggeber können erforderlichenfalls die Lieferfristen entsprechend dem Pandemieverlauf erstrecken. Sind bereits erste Vertragsstrafen fällig, ist öffentlichen Auftraggebern davon abzuraten, auf deren Einforderung ohne weiteres zu verzichten (siehe aber unten). Der wissentliche Verzicht auf eine geldwerte Forderung des Auftraggebers könnte nämlich für die handelnden Personen mit Compliance-Folgen verbunden sein.
Wir empfehlen daher, im konkreten Einzelfall die etwaige Sittenwidrigkeit des Berufens auf eine Vertragsstrafe zu prüfen. Da der Gesetzgeber beim Stichtag „Vertragsabschluss ab dem 01.04.2020“ offenbar die Besonderheiten von öffentlichen Auftragsvergaben nicht berücksichtigt hatte, ist uE auch eine analoge Anwendbarkeit des § 4 des 2. COVID19-Justiz-Begleitgesetzes auf vor der Pandemie abgegebene Willenserklärungen mit langer Bindungswirkung als Basis für den Ausschluss von Konventionalstrafen denk- und argumentierbar. Wichtig ist in diesen Fällen die Dokumentation der Gründe für eine allfällige Reduktion oder den Ausschluss der Vertragsstrafe.
Fazit
Mit dem 2. COVID19-Justiz-Begleitgesetz wollte der Gesetzgeber die negativen Folgen allfälliger, als Folge der COVID19-Einschränkungen schlagend werdender Konventionalstrafen beseitigen. Die Regelung gilt für alle Verträge, die vor dem 01.04.2020 abgeschlossen wurden.
Der Gesetzgeber berücksichtigt mit dieser Stichtagslösung offenkundig nicht die spezielle Konstellation der öffentlichen Auftragsvergaben, wo Angebote mit langer Bindungswirkung zu legen sind. Im vergaberechtlichen Kontext bleiben damit zahlreiche Konstellationen vom Privileg nicht erfasst, obwohl der Auftragnehmer genauso schützenswert wäre. Konkret geht es um verbindliche Angebote, die bereits vor dem Ausbruch der COVID19-Pandemie abgegeben wurden und sich auf Ausschreibungen mit verschuldensunabhängigen Vertragsstrafen beziehen. Hier kann der Auftraggeber je nachdem, welche Verfahrensart er wählt und wie weit das Vergabeverfahren bereits fortgeschritten ist, noch sanierend eingreifen. Wurde der Vertrag bereits abgeschlossen, ist rechtlich wohl überlegtes und sorgsam zu dokumentierendes Handeln gefragt.
Rundschreiben des Bundesministeriums für Justiz
BMJ – StS VR (Stabsstelle Bereich Vergaberecht)
Geschäftszahl: 2020-0.222.125
Das Bundesministerium für Justiz informiert über nachfolgende Neuerungen im Zusammenhang mit der Anwendung vergaberechtlicher Regelungen im Kontext der gegenwärtigen COVID-19 Krise.
Im Rahmen des 2. COVID-19-Gesetzes (vgl. dazu das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz – COVID-19-VwBG, BGBl. I Nr. 16/2020) wurde einerseits eine Hemmung für alle neu einzubringende Rechtsmittelanträge (ua. bei Verwaltungsgerichten – s. § 2 leg. cit.) und andererseits eine Unterbrechung aller Fristen in Bezug auf bei Verwaltungsgerichten bereits anhängige Verfahren (s. § 1 leg. cit.) verfügt, jeweils vorläufig bis 30. April 2020.
Im Vergaberecht führte dies unter anderem zu einer Divergenz zwischen den materiellrechtlichen und den verfahrensrechtlichen Fristen des BVergG 2018, des BVergGKonz 2018 und des BVergGVS 2012, insbesondere zu einer Hemmung der Präklusion.
Das Bundesverfassungsgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in Angelegenheiten des öffentlichen Auftragswesens (COVID-19 Begleitgesetz Vergabe), BGBl. I Nr. 24/2020, modifiziert das Regime des COVID-19-VwBG in folgender Weise; die Regelungen gelten sowohl im Bereich der Bundes- wie auch der Landesvollziehung.
Inhalte des COVID-19 Begleitgesetzes Vergabe:
- In § 1 wird vorgesehen, dass das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz – COVID-19-VwBG, BGBl. I Nr. 16/2020, weiterhin subsidiär gilt, sofern in den Bestimmungen des COVID-19 Begleitgesetzes Vergabe für den Bereich des öffentlichen Auftragswesens nichts Anderes bestimmt ist.
- § 2 sieht ein Auslaufen der Fristunterbrechung für alle Fristen mit 6. April 2020 in Nachprüfungsverfahren und Verfahren über die Gewährung von einstweiligen Verfügungen vor. Das betrifft alle Fristen in diesen Verfahren (also auch von den Gerichten gesetzte Fristen zur Verbesserung, Auskunftserteilung etc.) – diese Verfahren sollen somit ab diesem Zeitpunkt wieder „normal“ weiterlaufen. Das bedeutet insbesondere auch, dass bei Feststellungsanträgen weiterhin die Fristunterbrechung gemäß § 1 COVID-19-VwBG greift. Da sich die Sonderregel des § 2 nur auf die Verwaltungsgerichte bezieht, gilt die allgemeine Regel des COVID-19-VwBG bezüglich der Fristenunterbrechung bzw. Fristenhemmung für den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof weiter.
- § 3 sieht ein Ablaufen der Hemmung für alle verfahrenseinleitenden Anträge bei allen Verfahren im Vergabebereich mit Inkrafttreten des COVID-19 Begleitgesetzes Vergabe vor (das war der 5. April 2020). Das bedeutet, dass nunmehr Rechtsmittelanträge im Vergabebereich wieder nach dem „Regelregime“ rechtzeitig nach Bekanntgabe der „gesondert anfechtbaren Entscheidung“ bei Gericht einlangen müssen. Werden die Entscheidungen nicht innerhalb der Anfechtungsfrist angefochten, präkludieren sie.
- § 4 sieht eine Ergänzung der verfahrensrechtlichen Regeln für Verfahren vor den Verwaltungsgerichten vor, um den RichterInnen eine Entscheidungsfindung ohne physischen Kontakt zu ermöglichen. Dabei sollen in Senaten Umlaufbeschlüsse möglich sein und die Akteneinsicht soll ebenfalls ohne persönlichen Kontakt gewährt werden können.
- § 5 regelt eine Ausnahme für „Notbeschaffungen“ im Zusammenhang mit COVID-19. In den in § 5 genannten Verfahren kann nunmehr der Auftraggeber den Zuschlag erteilen, eine Rahmenvereinbarung abschließen bzw. die Angebote öffnen können, ohne dass eine Anfechtung dies verhindern kann (im Regelsystem führt die Anfechtung dieser Entscheidung zur aufschiebenden Wirkung mit Nichtigkeitssanktion).
Die Regelungen des COVID-19 Begleitgesetzes Vergabe treten mit Ablauf des 31. Dezember 2020 außer Kraft.
Nähere Hinweise zum Verständnis des COVID-19 Begleitgesetzes Vergabe sind der Begründung des Initiativantrages 403/A zu entnehmen (S. 46ff., abrufbar unter: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_00403/imfname_789732.pdf).
Hinzuweisen ist ferner auf folgende weitere vergaberelevante Regelung: Gemäß § 4 des 2. COVID-19-Justiz-Begleitgesetzes – 2. COVID-19-JuBG, BGBl. I Nr. 24/2020, ist ein in einem vor dem 1. April 2020 eingegangenen Vertragsverhältnis in Verzug geratener Schuldner, weil er als Folge der COVID-19-Pandemie entweder in seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist oder die Leistung wegen der Beschränkungen des Erwerbslebens nicht erbringen kann, nicht verpflichtet, eine vereinbarte Konventionalstrafe im Sinn des § 1336 ABGB zu zahlen. Das gilt auch, wenn vereinbart wurde, dass die Konventionalstrafe unabhängig von einem Verschulden des Schuldners am Verzug zu entrichten ist.
Die Bundesministerien und Länder werden ersucht, alle Dienststellen und ausgegliederte Einrichtungen im jeweiligen Bereich sowie – im Landesbereich – alle Gemeinden und Städte von diesem Rundschreiben in Kenntnis zu setzen.
- April 2020
Für die Bundesministerin:
Mag. Dr. Michael Fruhmann