Inhouse-Vergaben sind vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen. Das Bundesvergabegesetz normiert genaue Kriterien, wann so eine Vergabe vorliegt und somit von seinem Anwendungsbereich ausgenommen wird. Ein wesentliches Kriterium ist, dass der Auftraggeber einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen des Auftragnehmers ausübt (Kontrollkriterium). Das geschieht meist durch Anteile am Unternehmen.
Bei Umstrukturierungen sollten Auftraggeber überprüfen, ob sie laufende Inhouse-Verträge neu ausschreiben müssen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich mit einem Fall beschäftigt, bei dem der Auftraggeber während der Vertragslaufzeit eines Inhouse-Auftrags die Kontrolle über den Auftragnehmer verloren hat. Im Mai 2022 entschied der EuGH, dass die Voraussetzungen für eine ausgenommene Inhouse-Vergabe während der gesamten Vertragslaufzeit vorliegen müssen. Sollte der Auftraggeber die Kontrolle über einen Inhouse Auftragnehmer verlieren, muss er den Auftrag neu ausschreiben.
Der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof (Rs C-719/20, Comune di Lerici)
Die italienische Gemeinde Lerici hatte 2005 ein Unternehmen (ACAM) inhouse mit der Abfallbewirtschaftung beauftragt, an dem sie gemeinsam mit anderen Gemeinden beteiligt war. Der Vertrag lief bis 2028. Im Zuge einer Umstrukturierung im Jahr 2013 übernahm ein börsennotiertes Unternehmen (IREN) im Rahmen einer Ausschreibung alle Anteile der Gemeinden an der Auftragnehmerin ACAM, darunter auch die Anteile der Gemeinde Lerici.
Nachdem die Zuständigkeit für die Abfallbewirtschaftung von der Gemeinde auf die Provinz überging, der die Gemeinde angehört, hat die Provinz die ACAM im Jahr 2018 wieder ohne Ausschreibung beauftragt. Die Gemeinde Lerici erhob daraufhin eine Klage, da wegen mangelnder Kapitalbeteiligung keine Inhouse-Vergabe möglich sei.
Der EuGH sah die Beauftragung von 2018 als bloße Fortsetzung des ursprünglichen Vertrages und befand die Fortführung des inhouse vergebenen Auftrags ohne Ausschreibung als rechtswidrig. Der öffentliche Auftraggeber sei nicht mehr am Auftragnehmer beteiligt und könne über diesen keine Kontrolle ausüben. Es hätten sich die grundlegenden Bedingungen des Inhouse-Auftrags geändert und eine Ausschreibung wäre daher erforderlich gewesen.
Der EuGH sieht auch keine Möglichkeit, dass der neue Auftragnehmer den Auftrag weiterführen könnte. Das sei nur bei Aufträgen möglich, die ursprünglich schon im Rahmen eines Vergabeverfahrens vergeben wurden. Für den EuGH änderte auch nichts, dass die IREN die Anteile des Auftragnehmers in einem Vergabeverfahren erworben hat.
Öffentliche Auftraggeber dürfen zur Vorbereitung einer zukünftigen Auftragsvergabe Marktkonsultationen durchführen. Dabei treten sie mit potenziell interessierten Unternehmen in Kontakt und verschaffen sich einen Überblick über den Markt. Im Anschluss dürfen Auftraggeber die eingeholten Informationen für die Planung und Durchführung des Vergabeverfahrens nutzen. Darunter darf aber nicht der Wettbewerb leiden oder gegen die Grundsätze des Vergabeverfahrens verstoßen werden.
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) entschied im März in einem Fall, in dem die Inhalte solcher Markterkundungsgesprächen in die Ausschreibung eingeflossen waren, die Gesprächsprotokolle jedoch nicht allen Unternehmen zugänglich waren (VwGH Ra 2019/04/0139).
Markterkundungsgespräche nehmen Einfluss auf die Ausschreibung
Im konkreten Fall leitete eine öffentliche Auftraggeberin im Sommer 2019 mit Bekanntmachung ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Dienstleistungsauftrages ein. Es ging um die Durchführung von Sicherheitsdienstleistungen in Krankenanstalten.
Vor der Bekanntmachung führte die Auftraggeberin Marktsondierungsgespräche mit einigen Unternehmen. Diese Unternehmen erhielten dabei umfassende Informationen betreffend die in Vorbereitung befindliche Ausschreibung. Die Erkenntnisse aus diesen Gesprächen flossen in die Ausschreibungsunterlagen ein.
Das Problem: Die Gespräche wurden zwar ausführlich dokumentiert, die Protokolle waren den am Vergabeverfahren interessierten bzw. beteiligten Unternehmen aber nicht zugänglich.
VwGH: Inhalt der Sondierungsgespräche muss offengelegt werden
Der VwGH hielt fest, dass die Gleichbehandlung der Bieter und die Transparenz zu den Grundsätzen des Vergabeverfahrens zählen. Im Zusammenhang mit der Markterkundung führte das dazu, dass die Auftraggeberin folgende Dinge offenlegen musste:
- Welche Informationen, die er durch die Markerkundung erlangt hat, in die Planung und Durchführung des Vergabeverfahrens eingeflossen sind.
- Woher diese Informationen stammen.
Da die beteiligten Unternehmen im konkreten Fall keinen Zugang zu den protokollierten Inhalten der Sondierungsgespräche hatten, war es für sie nicht nachvollziehbar, welche aus den Markterkundungsgesprächen gewonnenen Informationen Einfluss auf die Ausschreibung genommen haben und aus welcher Quelle diese Informationen stammten.
Der VwGH stellte daher fest, dass durch die fehlende Offenlegung das Transparenzgebot verletzt wurde und somit vergaberechtswidrig war. Es reichte auch nicht aus, die – aus Sicht der Auftraggeberin – relevanten Informationen in der Ausschreibung zu verwerten.
Der Zweck: Teilnehmende Unternehmen sollen in der Lage zu sein, zu beurteilen, ob bei der Markterkundung die Gleichbehandlung der Bieter gewahrt wurde und gegebenenfalls begründete Rechtsschutzanträge zu stellen.
Der Europäische Gerichtshof entschied im vergangenen Jahr, dass auch private Sportverbände öffentliche Auftraggeber sein können. Außerdem stellte der Gerichtshof klar, dass EU-Mitgliedsstaaten zusätzliche Voraussetzungen für integrative Betriebe festlegen dürfen.
Sportverbände als öffentliche Auftraggeber (EuGH 3.2.2021, C‑155/19 und C‑156/19)
Der EuGH entschied im Februar 2021, dass auch Sportverbände öffentliche Auftraggeber sein können. Der Gerichtshof stellte fest, dass der italienische Fußballverband zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Dabei sei es unerheblich, dass der Sportverband als privatrechtlicher Verein gegründet wurde und neben diesen Aufgaben auch andere Tätigkeiten ausführt, die nicht der Allgemeinheit dienen. Sollte es daher einem anderen öffentlichen Auftraggeber möglich sein, die Entscheidungen des Sportverbandes im Bereich der Vergaben zu beeinflussen, so gilt auch dieser als öffentlicher Auftraggeber.
Die Frage nach dem beherrschenden Einfluss wurde im konkreten italienischen Fall zwar nicht beantwortet, jedoch hat der EuGH "sachdienliche Hinweise" ausgearbeitet, die dem italienischen Gericht eine konkrete Beurteilung erleichtern sollen. Das österreichische Justizministerium geht davon aus, dass die Ausführungen des EuGH auch für hiesige Sportverbände relevant sind.
Zusätzliche Voraussetzungen für integrative Betriebe (EuGH 6.10.2021, C-598/19)
Art. 20 Abs. 1 der EU-Vergaberichtlinie sieht vor, dass Auftraggeber die Teilnahme an einem Vergabeverfahren auf geschützte Werkstätten und Wirtschaftsteilnehmer, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, einschränken dürfen. Alternativ können sie vorsehen, dass solche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchgeführt werden, sofern mindestens 30 % der Arbeitnehmer Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Arbeitnehmer sind.
Der EuGH entschied, dass diese Bestimmungen Mindestanforderungen sind und Mitgliedstaaten weitere Voraussetzungen normieren dürfen, die Betriebe der sozialen und beruflichen Integration erfüllen müssen. Dabei müssen jedenfalls die vergaberechtlichen Grundsätze gewahrt werden.
Im konkreten Fall hielt das spanische Recht bestimmte Aufträge besonderen Beschäftigungszentren in sozialer Trägerschaft vor. Dadurch waren insbesondere gewerbliche Unternehmen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, obwohl sie die Kriterien des Art. 20 der Richtlinie erfüllten.
Mit 1. Jänner 2022 wurde das Koalitionsverbot im Ziviltechnikergesetz (ZTG) aufgehoben. Nun können Bietergemeinschaften aus Ziviltechnikern und ausführenden Gewerbetreibenden erfolgreich an Vergabeverfahren teilnehmen.
Bisher durften Ziviltechniker nur dann eine Gesellschaft bürgerlichen Rechtes mit Gewerbetreibenden bilden, wenn diese nicht zu ausführenden Tätigkeiten berechtigt waren. Damit sollte die Trennung zwischen Planung und Ausführung gesichert werden, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Im Vergaberecht führte dies dazu, dass Ziviltechniker bei gemeinsamen Angeboten mit Baumeistern keinen Zuschlag erhielten. Wegen der Verletzung berufsrechtlicher Bestimmungen waren solche Angebote nämlich auszuscheiden.
Was ist passiert?
Bereits im Jahr 2019 hat der EuGH in einem Verfahren der EU-Kommission gegen Österreich (29.07.2019, Rs C-209/18) entschieden, dass die Republik Österreich gegen ihre unionsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen hat. Unter anderem würde Österreich nämlich Anforderungen an die Rechtsform und die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen für Ziviltechnikergesellschaften sowie die Beschränkung multidisziplinärer Tätigkeiten für Ziviltechnikergesellschaften aufrechterhalten. Dies verstoße gegen Unionsrecht. Daraufhin wurde das ZTG zwar novelliert, das Koalitionsverbot blieb jedoch weiterhin bestehen.
Im März 2021 stellte dann der österreichische Verfassungsgerichtshof E 3131/2020-11 ausdrücklich fest, dass das Koalitionsverbot gegen EU-Recht verstößt und daher nicht angewendet werden darf.
Im konkreten Fall hatte das Landesverwaltungsgericht Tirol den Nachprüfungsantrag einer Bewerbergemeinschaft mangels Antragslegitimation als unzulässig zurückgewiesen. Die Gemeinschaft bestand aus Ziviltechnikern und einem Zivilingenieur für Bauwesen mit der Berechtigung zu ausführenden Tätigkeiten. Dies sei im Sinne des Koalitionsverbots unzulässig. Die BIEGE könne daher keinen Zuschlag im Verfahren erhalten und ihr habe somit auch kein Schaden entstehen können. Sie könne daher auch keinen Nachprüfungsantrag stellen.
Mit der seit 1. Jänner 2022 in Kraft getretenen Änderung des ZTG wurde das Koalitionsverbot endgültig gestrichen. Nun dürfen planende Ziviltechniker auch dann mit einem Gewerbetreibenden eine Bietergemeinschaft bilden und im Vergabeverfahren Angebote legen, wenn Letztere ausführende Tätigkeiten ausüben.
Wesentliche Änderungen von Konzessionsverträgen während ihrer Laufzeit sind nur nach einer erneuten Durchführung eines Konzessionsvergabeverfahrens zulässig. Eine Änderung eines Konzessionsvertrages ist wesentlich, wenn sie dazu führt, dass sich der Konzessionsvertrag erheblich vom ursprünglichen Konzessionsvertrag unterscheidet. Hingegen sind unwesentliche Änderungen unbeschränkt zulässig.
Eine Änderung ist jedenfalls als wesentlich anzusehen, wenn beispielsweise Bedingungen eingeführt werden, die, wenn sie für das ursprüngliche Konzessionsvergabeverfahren gegolten hätten, die Zulassung anderer als der ursprünglich ausgewählten Bewerber bzw. die Annahme eines anderen als des ursprünglich angenommenen Angebotes ermöglicht hätten oder das Interesse weiterer Teilnehmer am Konzessionsvergabeverfahren geweckt hätten.
Als wesentliche Änderung gilt zudem das Verschieben des wirtschaftlichen Gleichgewichts zugunsten der Konzessionäre in einer Weise, die im ursprünglichen Konzessionsvertrag nicht vorgesehen war. Auch Änderungen, mit denen der Umfang des Konzessionsvertrages erheblich ausgeweitet oder verringert wurde gilt als wesentlich.
Unwesentliche Änderungen sind unter anderem:
- Änderungen des Wertes der Konzession, wenn sie einen gewissen Schwellenwert und 10 Prozent des ursprünglichen Wertes nicht übersteigen.
- Änderungen, die unabhängig von ihrem Geldwert, in den ursprünglichen Konzessionsunterlagen in Form von klar, präzise und eindeutig formulierten Vertragsänderungsklauseln vorgesehen sind. Diese Klauseln
- müssen Umfang und Art möglicher Änderungen oder Optionen vorsehen,
- Bedingungen enthalten, unter denen sie zur Anwendung gelangen können und
- sie dürfen keine Änderungen oder Optionen vorsehen, die den Gesamtcharakter der Konzession verändern würden.
Neueste Entscheidung des EuGH zur Verlängerung bei Konzessionsverträgen
In der Entscheidung (EuGH 2.9.2021, C-721/19) ging es um die Erneuerung der an die italienische Lotterie Nazionali vergebenen Konzession für die Veranstaltung von Rubellosspielen. Der Konzessionsvertrag wurde am 1. Oktober 2010 für die Dauer von neun Jahren abgeschlossen. Er enthielt die Erneuerungsklausel, den Vertrag einmalig, um weitere neun Jahre verlängern zu können. Zwei Jahre vor Ablauf des Vertrags wurde dieser verlängert. Dabei wurde die Bedingung gestellt, dass die Lotterie im Voraus Gebühren an den italienischen Staatshaushalt zahlt.
Der EuGH stellte zuerst klar, dass die Vertragsänderungen nach jenen Regelungen zu beurteilen seien, die zum Änderungszeitpunkt gelten. Es ist daher unerheblich, dass der ursprüngliche Konzessionsvertrag vor dem Erlass der einschlägigen EU-Vergaberichtlinien abgeschlossen wurde.
Der EuGH kam zum Schluss, dass die Verlängerung keine wesentliche Vertragsänderung darstellt. Erstens war sie in einer entsprechenden Vertragsänderungsklausel vorgesehen, die insbesondere keinen Zeitpunkt für eine Verlängerung vorsah. Zweitens kann die vorgezogene Zahlung zu einer Erhöhung des zu zahlenden Betrags durch den Konzessionsnehmer führen. Daher scheint eine solche Änderung auch nicht das wirtschaftliche Gleichgewicht der Konzession zu seinen Gunsten zu verschieben.
Hier können Sie die EuGH Entscheidung im Wortlaut nachlesen.
Mit Rahmenvereinbarungen können öffentliche Auftraggeber ihren Auftragsbedarf flexibel decken, indem sie die Leistung über einen längeren Zeitraum abrufen. Bisher war es jedoch strittig, ob und wann eine Höchstmenge bzw. Schätzmenge der zu liefernden Waren angegeben werden muss.
In einer am 17. Juni 2021 ergangenen Vorabentscheidung (C-23/20, Simonsen & Weel) stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun folgendes klar:
- Bereits in der Bekanntmachung
- sind die Schätzmenge und/oder der Schätzwert und eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu liefernden Waren
- als Gesamtmenge oder -wert anzugeben.
- Wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht ist, verliert die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung.
Außerdem entschied der EuGH, dass die Rahmenvereinbarung selbst bei der Verletzung dieser Angabepflicht wirksam bleibt, solange die Auftragsbekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde. Der Unionsgesetzgeber habe die Unwirksamkeit nämlich nur für die schwersten Verstöße gegen das Vergaberecht vorgesehen. Also Fälle, in denen ein Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union freihändig vergeben werde.
Die Hintergründe
Der EuGH hatte im Dezember 2018 (C-216/17, Antitrust und Coopservice) entschieden, dass bei Rahmenvereinbarungen eine Höchstmenge der abrufbaren Leistungen angegeben werden muss. Die Entscheidung basierte noch auf der mittlerweile aufgehobenen Richtlinie 2004/18/EG und es stellte sich daher insbesondere die Frage, ob diese Angaben weiterhin verpflichtend seien und wenn ja, ob sie bereits in der Bekanntmachung zu erfolgen hätten.
Diese Fragen warf ein dänisches Gericht im Fall Simonsen & Weel auf, nachdem in Dänemark am 30. April 2019 mit Bekanntmachung ein Verfahren zum Abschluss einer Rahmenvereinbarung eingeleitet wurde. Dabei enthielt die Auftragsbekanntmachung keine Angaben zur geschätzten Menge oder Höchstmenge der nach den Rahmenvereinbarungen zu beschaffenden Waren.
In der Entscheidung vom 17. Juni 2021 stellte der EuGH nun klar, dass auch unter der neuen Rechtslage eine Angabepflicht besteht und präzisierte, dass dies bereits in der Bekanntmachung erfolgen muss. Dies sei für einen Bieter von Bedeutung, weil er auf Grundlage dieser Schätzung seine Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung beurteilen könne. Bei fehlenden verbindlichen Angaben zu Höchstmengen/Höchstwerten könnten sich öffentliche Auftraggeber außerdem über diese Menge hinwegsetzen und den Zuschlagsempfänger wegen Nichterfüllung der Rahmenvereinbarung haftbar machen, sobald er nicht liefern kann, obwohl die Höchstmenge in der Bekanntmachung überschritten wurde.
Endet ein Feststellungsverfahren mit dem Ergebnis, dass das Vergabeverfahren rechtswidrig war, haben übergangene Bewerber bzw. Bieter die Möglichkeit, von Auftraggebern Schadenersatz zu fordern.
Im Vergabeverfahren gelten besondere Regeln für Schadenersatzansprüche (§ 369 BVergG 2018), die jene des allgemeinen Schadenersatzrechtes teilweise verdrängen.
So regelt das Bundesvergabegesetz nur den Ersatz für die Kosten der Angebotsstellung, der Teilnahmekosten und das Erfüllungsinteresse. Für darüberhinausgehende Ansprüche gelten die allgemeinen Schadenersatzregeln.
Zuständig sind nicht die Vergabekontrollbehörden, sondern das Landesgericht für Zivilrechtssachen am Sitz der betroffenen Auftraggeber.
Wenn es im Inland keinen Gerichtsstand gibt, ist das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zuständig. In diesem Verfahren sind das Zivilgericht und die Parteien an die Feststellungen der Vergabekontrollbehörden gebunden (siehe dazu § 373 Abs 1, 2 BVergG 2018).
Wann besteht ein Schadenersatzanspruch?
Um Schadenersatzansprüche nach dem BVergG durchzusetzen, müssen vorliegen:
Die Feststellung durch die zuständige Vergabekontrollbehörde, dass das Vergabeverfahren rechtswidrig war.
- Im Gegensatz zum regulären Schadenersatz muss kein Verschulden nachgewiesen werden (siehe dazu Urteil des EuGH 30. 9. 2010, C-314/09, Strabag; OGH 17. 11. 2010, 6 Ob 208/10x): Auftraggeber haften, wenn deren Organe oder jene einer vergebenden Stelle einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das BVergG oder der dazu ergangenen Verordnungen begangen haben und ihm das Verhalten dieser Organe zurechenbar ist.
- Ausnahmsweise ist eine Schadenersatzklage auch ohne Feststellung durch die Vergabekontrollbehörde zulässig, wenn Verfahren zwar zulässigerweise widerrufen wurden, die Widerrufe jedoch von Auftraggebern durch als hinreichend qualifizierten Verstöße verursacht wurden (siehe dazu § 373 Abs 3 BVergG 2018).
Auftraggeber können Schadenersatzklagen abwehren, wenn sie im vorangegangenen Feststellungsverfahren beweisen konnten, dass übergangene Bewerber bzw. Bieter keine echte Chance auf die Zuschlagserteilung gehabt hätten.
Die Bewerber bzw. Bieter treffen wie im allgemeinen Schadenersatzrecht außerdem eine Schadensminderungspflicht. Sie müssen sich also angemessen um Schadensbegrenzung bemüht haben (z.B. durch einen Antrag auf Nichtigerklärung und Antrag auf Einstweilige Verfügung). Bei Sorglosigkeit der Bewerbers bzw. Bieter können Auftraggeber auch ihr Mitverschulden und die Aufteilung des Schadens zwischen ihnen einwenden (siehe dazu OGH Entscheidung OGH 25. 5. 2005, 5 Ob 49/05z).
Welcher Schaden wird ersetzt?
Zu Unrecht übergangene Bewerber oder Bieter haben Anspruch auf Ersatz der Kosten der Angebotsstellung und der Teilnahmekosten am Vergabeverfahren. Wenn übergangene Bieter aber vor dem Zivilgericht beweisen, dass sie nicht bloß die echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätten, sondern ihnen der Zuschlag tatsächlich erteilt hätte werden müssen, steht ihnen das Erfüllungsinteresse zu: Sie sind so zu stellen, als wäre der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden. Ihnen muss also zum Beispiel der Gewinn ersetzt werden, den sie bei Erfüllung des Vertrages hätten erzielen können (siehe dazu OGH Entscheidung RS0113629).
Eine Faustregel im Vergaberecht lautet: Referenzen zum Eignungsnachweis können nachgereicht werden (behebbarer Mangel), Referenzen für die Auswahlentscheidung nicht (unbehebbarer Mangel). Im Anlassfall wollte der Bieter eine sowohl für die Eignung, als auch für die Auswahlentscheidung relevante Referenz nachreichen. Der VwGH unterlässt in seinem Beschluss die notwendige Differenzierung und stiftet damit Rechtsunsicherheit.
Rechtlicher Kontext
Gemäß § 138 BVergG muss der Auftraggeber mangelhafte Angebote vom Bieter aufklären lassen. Bei behebbaren Mängel sind einer Verbesserung zugänglich, unbehebbare Mängel können nicht verbessert werden. Dabei ist entscheidend ob durch die Mängelbehebung die Wettbewerbsstellung des Bieters oder Bewerbers gegenüber seinen Mitbewerbern materiell verbessert würde (VwGH 25.02.2004, 2003/04/0186). Für mangelhafte Teilnahmeanträge (erste Verfahrensstufe) gelten dieselben Grundsätze.
Im Zusammenhang mit der Behebbarkeit von Mängeln bei Referenzprojekten ist zu unterscheiden: Eine fehlende oder unzureichende Referenz zum Nachweis der Eignung kann vom Bieter oder Bewerber verbessert werden. Das Nachreichen einer Referenz für die Auswahlbewertung kann hingegen die Wettbewerbsstellung eines Bewerbers verbessern und ist nicht zulässig. Soweit die bisher herrschende Ansicht und ständige Rechtsprechung.
Ausgangssachverhalt und Entscheidungen des LVwG und VwGH
Die Auftraggeber führten ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen über Verkehrsdienstleistungen in drei Losen durch. Die Teilnahmeunterlagen forderten den Nachweis je einer Referenz pro Los, wobei dieselben Referenzen auch im Rahmen der Auswahlprüfung bewertet werden sollten.
Eine Bewerberin legte einen Teilnahmeantrag für alle drei Lose und legte diesem nur zwei Referenzen bei. Aus dem Teilnahmeantrag ergab sich nicht, welche Referenz welchem Los zuzuordnen ist. Nach Ansicht der Auftraggeber hätte für jedes Los ein eigenes Referenzprojekt vorgelegt werden müssen und war die fehlende Zuordnung der Referenzprojekte zu den Losen nicht verbesserbar. Gegen die Nicht-Zulassung zur zweiten Stufe des Vergabeverfahrens brachte die Bewerberin einen Nachprüfungsantrag ein.
Das Verwaltungsgericht sah es als für die Auswahlprüfung erforderlich an, die Referenzen den jeweiligen Losen zuzuordnen. Es wäre die Gleichbehandlung der Bewerber gefährdet, wenn die Auftraggeber selbst die vorgelegten Referenzen einem bestimmten Los zuordnen könnten. Mangels der erforderlichen Zuordnung der Referenzen könne auch die technische Leistungsfähigkeit nicht überprüft werden. Ein Aufklärungsersuchen hätte nach Ansicht des Verwaltungsgerichts zu einem Wettbewerbsvorteil der Bewerberin geführt.
Der VwGH bestätigte das Erkenntnis des Erstgerichts und verwies darauf, dass die Auslegung der Ausschreibungsunterlagen nur dann einer Revision zugänglich wäre, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre. So eine Fehlbeurteilung lag nach Ansicht des VwGH nicht vor. Das Verwaltungsgericht durfte von einem unbehebbaren Mangel ausgehen, denn die Referenzen waren für die Auswahlentscheidung bewertungsrelevant und hätte eine Mangelbehebung deshalb einen Wettbewerbsvorteil bewirken können.
Fazit
Der VwGH bestätigt zunächst die bisherige Rechtsprechung, wonach mangelhafte Referenzen, die bei der Auswahlprüfung berücksichtigt werden sollen, keinesfalls nachgereicht werden dürfen. Der VwGH konkretisiert die bisherige Ansicht dahingehend, dass es darüber hinaus einen nicht verbesserbaren Mangel darstellt, wenn die vorgelegten (auswahlrelevanten) Referenzen keinem bestimmten Los zugeordnet sind – zumindest wenn insgesamt zu wenige Referenzen vom Bewerber vorgelegt wurden. Eine Nachreichung von Auswahlreferenzen oder nachträgliche Zuordnung wäre notwendigerweise wettbewerbsrelevant, dem VwGH ist insofern zuzustimmen.
Dass die fehlende Referenz auch nicht zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit nachgereicht werden durfte, ist hingegen nicht nachvollziehbar und steht in Widerspruch zur bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur. Lässt man die Nachreichung einer Eignungsreferenz hingegen zu, muss nach einem Größenschluss konsequenterweise auch eine nachträgliche Referenzzuordnung möglich sein. Auch dass ein Referenzprojekt nach der Ausschreibung zugleich als Auswahlreferenz dienen sollte, kann daran nichts ändern. Die nachgereichte Referenz müsste (und dürfte!) über den Eignungsnachweis hinaus nicht in die Auswahlbewertung miteinfließen. Auf diese notwendige Differenzierung geht der Gerichtshof aber nicht ein.
Der Beschluss ist als (in diesem Punkt verfehlte) Einzelfallentscheidung anzusehen, die sich in die Logik der bisherigen Rechtsprechung kaum einordnen lässt. Da der VwGH die Revision nicht mit einem inhaltlichen Erkenntnis sondern beschlussmäßig (ohne tiefgreifendere rechtliche Begründung) erledigte, sollte der Entscheidung nicht allzuviel Bedeutung beigemessen werden.
Ausschreibungsunterlagen sind Kernelemente von Vergabeverfahren. Diese müssen nicht nur den Anforderungen in Bezug auf die Gleichbehandlung von Bietern genügen, sondern auch – abhängig von der Verfahrensart – gewisse Mindestinhalte bieten. Aktuelle Gerichtentscheidungen zeigen auf, was bei der Erstellung oder Änderung der Ausschreibungsunterlagen zu beachten ist.
Unrichtiger CPV-Codes in Bekanntmachung führt zu Nichtigkeit
Der Verwaltungsgerichtshof hat klargestellt, dass in der Bekanntmachung und bei der Beschreibung des Auftragsgegenstands der richtige und aktuelle CPV-Code angegeben werden muss. Wird ein CPV-Code verwendet, der die vertragsgegenständlichen Leistungen nicht umfasst, ist die Bekanntmachung nichtig. Der Wegfall der Bekanntmachung führt zur Rechtswidrigkeit des Verfahrens, weil es ohne vorherige Bekanntmachung durchgeführt wurde. Ein unrichtiger CPV-Code kann gegebenenfalls sogar bis zu sechs Monate nach Bekanntgabe eines vergebenen Auftrags mit einem Feststellungsantrag bekämpft werden und zur Nichtigkeit des Vertrags führen.
Nachdem die Bekanntmachung dazu dient, dass potentielle Interessenten prüfen können, ob ein bestimmtes Vergabeverfahren für sie interessant ist, haben Auftraggeber in der Bekanntmachung jedenfalls den richtigen und vom Leistungsgegenstand gedeckten CPV-Code anzugeben . Interessenten kann nämlich nicht zugemutet werden, in den Ausschreibungsunterlagen nachzulesen, was der tatsächliche Auftragsgegenstand ist.
Beschluss Verwaltungsgerichtshof: VwGH 28.09.2020, Ra 2020/04/0044
Offenlegung der Marktsondierungsgespräche
Wurde eine umfassende Markterkundung durchgeführt, die auch ein Konzept einer vollständigen Ausschreibung samt den geplanten Eignungs- und Zuschlagskriterien einschließt, genügt es nicht, nur ausgewählte Ergebnisse der Markterkundung in den Ausschreibungsunterlagen aufzunehmen. Aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes müssen die gesamten Protokolle der durchgeführten Marktsondierungsgespräche in anonymisierter Form und ohne Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie das Konzept der Ausschreibungsunterlagen allen interessierten Unternehmern zugänglich gemacht werden.
Erkenntnis des Verwaltungsgericht Wien: VwG Wien 09.10.2019, VGW-123/077/10956/2019
Keine verpflichtende Bekanntgabe der Größe und Zusammensetzung von Bewertungskommissionen
Beim Einsatz einer Kommission zur Bewertung der Angebote müssen deren Größe und Zusammensetzung nicht in den Ausschreibungsunterlagen bekanntgegeben werden. Lediglich das gänzliche Fehlen von Angaben zum Bewertungsvorgang verstößt gegen das Transparenzgebot. Jedenfalls erforderlich ist, dass jedes Jurymitglied die fachlichen Voraussetzungen für die Prüfung und Beurteilung der Angebote erfüllt.
Im Nachprüfungsverfahren kann aber jede Entscheidung des Auftraggebers und somit auch die konkrete Besetzung der Kommission angefochten werden.
Entscheidungen Bundeserwaltungsgericht: BVwG 22.11.2019, W187 2224114-2/43E und 22.02.2017, W187 2144680-2/30E
Entscheidung Bundeserwaltungsgericht: BVwG 11.02.2014, W187 2000002-1/23E (Fehlen jeglicher Angaben verstößt gegen Transparenzgebot)
Berichtigung der Ausschreibung in Bezug auf Mindestabnahmemengen und Zuschlagskriterien kann zulässig sein
Eine Berichtigung der Ausschreibung ist zulässig, wenn sie erforderlich ist und nicht zu einer wesentlichen inhaltlichen Änderung der Ausschreibung führt. Trifft Letzteres zu, wäre die Ausschreibung wegen Vorliegens zwingender Gründe zu widerrufen.
Das Verwaltungsgericht Wien stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die Festlegung einer Mindestabnahmemenge in der Höhe des bisherigen geschätzten Jahresbedarfs zulässig sein kann. Im gegenständlichen Fall hat sich der Bieterkreis nach Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht geändert, weil weiterhin mit denselben geschätzten Liefermengen zu kalkulieren gewesen ist und keine Änderung des Umfangs oder der Art der zu liefernden Leistung erfolgt ist.
Vielmehr verschafft eine derartige Berichtigung den Bietern die Sicherheit, dass ihnen die Jahresmenge garantiert abgenommen wird. Auch eine Änderung der Zuschlagskriterien durch Streichung einer Passage, wonach nur die drei preislich bestgereihten Angebote einer Qualitätsbewertung unterzogen werden, ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichts zulässig. Diese Berichtigung führt nämlich nicht zu einer wesentlichen Änderung des Bieterkreises, weil sie keine Bieter anzieht, die ohne die Änderung kein Angebot abgeben hätten können.
Entscheidung Verwaltungsgericht Wien: VwG Wien 05.06.2020, VGW-123/046/1360/2020
Unzulässigkeit allgemeiner Einschränkungen von Subvergaben
Beschränkungen im Zusammenhang mit der Weitergabe von Leistungsteilen an Subunternehmer müssen auf sachlichen Gründen beruhen und insbesondere auf die Art des konkreten Auftrags sowie auf den Wirtschaftsbereich Bedacht nehmen. Zulässig ist daher die Festlegung von bestimmten kritischen Aufgaben, die vom Bieter selbst zu erbringen sind, nicht aber eine abstrakte quantitative Beschränkung von Subvergaben durch eine feste Quote.
Eine gesetzliche Bestimmung, wonach ein Bieter maximal 30% des Gesamtbetrags des Auftrags an Subunternehmer weitergeben darf, ist somit unzulässig. Genauso unzulässig ist eine gesetzliche Regelung, die eine Maximalgrenze für Aufschläge der Bieter auf ihre Subunternehmerpreise – im konkreten Fall 20% – vorsieht.
Ausschlaggebend für die Unzulässigkeit der gesetzlichen Bestimmungen war für den EuGH in beiden Fällen, dass derartige Beschränkungen keinen Spielraum für eine Einzelfallbeurteilung durch den Auftraggeber lassen und daher nicht verhältnismäßig sind.
Urteil Europäischer Gerichtshof EuGH 25.09.2019, C-63/18, Vitali SpA (30%-Beschränkung von Subvergaben)
Urteil Europäischer Gerichtshof EuGH 27.11.2019, C-402/18, Tedeschi Srl (Maximalaufschlag von 20% auf Subunternehmerpreise)
Für viele überraschend hat der EuGH in seiner Entscheidung vom 22.04.2021 in einem von der Europäischen Kommission gegen Österreich geführten Vertragsverletzungsverfahren die ausschreibungsfreie Anmietung von Räumlichkeiten im Bürogebäude „Gate 2“ durch die Stadt Wien – Wiener Wohnen (Wiener Wohnen) für vergaberechtskonform befunden
Die Kommission hatte den Vorwurf erhoben, dass das Gebäude, das erst nach Unterzeichnung des Mietvertrags durch Wiener Wohnen errichtet worden war, nach den Bedürfnissen von Wiener Wohnen gestaltet worden wäre, weshalb eigentlich ein ausschreibungspflichtiger Bauauftrag vorgelegen habe. Der EuGH hielt diese Vorwürfe für nicht stichhaltig.
Entscheidung des EuGH in der Rs C-537/19
Im Kern ging es in diesem Verfahren um die Frage, ob sich Wiener Wohnen bei der vergabefreien Anmietung von Räumen im Gebäudekomplex Gate-2 berechtigter Weise darauf berufen durfte, dass nach dem (damals geltenden) § 10 Z 8 BVergG 2006 Verträge über die Miete von Grundstücken oder vorhandenen Gebäuden nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen.
In seiner Entscheidung weist der EuGH zunächst darauf hin, dass allein der Umstand, dass die anzumietenden Räumlichkeiten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht errichtet waren, einer Berufung auf den betreffenden Ausnahmetatbestand noch nicht entgegensteht. Aus den unionsrechtlichen Vorgaben zu dieser Ausnahme (24. ErwGrRL 2004/18, wonach Mietverträge über unbewegliches Vermögen oder Rechten daran, Merkmale aufweisen, „die die Anwendung von Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen unangemessen erscheinen lassen“), leitet der EuGH ab, dass sich diese Ausnahme auch auf die Miete nicht vorhandener, dh noch nicht errichteter Gebäude erstrecken kann.
Eine Berufung auf den Ausnahmetatbestand kommt nach Ansicht des EuGH nur dann nicht in Betracht, wenn die Errichtung des geplanten Bauwerks einen öffentlichen Bauauftrag darstellt, weil diese Errichtung den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen entspricht. Dies sei dann der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung festzulegen oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf die Planung der Bauleistung zu nehmen; ebenso, wenn die vom öffentlichen Auftraggeber verlangten Spezifikationen über die üblichen Vorgaben eines Mieters für eine Immobilie hinausgehen.
Ein entscheidender Einfluss auf die Gestaltung eines Bauwerks liegt nach Ansicht des EuGH dann vor, wenn dieser Einfluss „auf die architektonische Struktur dieses Gebäudes wie seine Größe, seine Außenwände und seine tragenden Wände ausgeübt wird. Anforderungen, die die Gebäudeeinteilung betreffen können, nur dann als Beleg für einen entscheidenden Einfluss angesehen werden, wenn sie sich aufgrund ihrer Eigenart oder ihres Umfangs abheben“.
Vor diesem Hintergrund prüft der EuGH in der Folge jene Aspekte, zu denen die Kommission vorgebracht hatte, Wiener Wohnen habe damit entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Bauwerks genommen. Adaptierungen des Objektes (etwa die Errichtung weiterer Obergeschosse oder von Verbindungsbrücken zwischen zwei Bauteilen) waren nach Ansicht des EuGH schon vor Abschluss des Mietvertrags mit Wiener Wohnen optional eingeplant gewesen, weshalb Wiener Wohnen lediglich von einem im eingeräumten Recht zur Anmietung Gebrauch gemacht hat, was dann zur Errichtung dieser Bauteile geführt hat. Dass im Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags noch keine Baugenehmigung vorgelegen hatte, bedeutet nach Ansicht des EuGH ebenfalls nicht, dass das Bauwerk bei Vertragsabschluss nicht schon – zumindest dem Grunde nach – fertig geplant gewesen ist. Sowohl die Laufzeit des Mietvertrages (unbefristet mit Kündigungsverzicht von zunächst 25 Jahren) als auch der Umstand, dass Wiener Wohnen den Baufortschritt durch eine begleitende Kontrolle genau überwacht hat (um – so das Vorbringen – im Fall von Bauverzögerungen zeitgerecht Maßnahmen, wie etwa die Verlängerung von Mietverträgen in bislang genutzten Gebäuden, setzen zu können) erachtet der EuGH nicht als bei derartigen Mietverträgen unüblich.
Auch sonstige Anforderungen und gewünschte Spezifikationen von Wiener Wohnen gingen nach Ansicht des EuGH nicht über das hinaus, was der Mieter eines Gebäudes wie der Gate 2-Immobilie üblicherweise verlangen kann. Schließlich war auch erkennbar, dass das in Rede stehende Gebäude so geplant wurde, dass Vorkehrungen für eine (rasche) Neuvermietbarkeit der Räumlichkeiten nach einem allfälligen (Teil-) Auszug von Wiener Wohnen getroffen wurden.
Da sich sämtliche von der Kommission erhobenen Vorwürfe damit nicht erhärtet haben, weist der EuGH die Klage ab.
Bewertung
Die vorliegende Entscheidung des EuGH ist zunächst deshalb bemerkenswert, weil sie sehr genaue Leitlinien dafür vorgibt, wann ein „entscheidender Einfluss“ eines öffentlichen Auftraggebers auf die Errichtung eines Bauwerks anzunehmen ist. Der EuGH unterscheidet grundsätzlich zwei Aspekte (vgl. Rs C-537/19 Rz 53):
- Zum einen kann ein solcher entscheidender Einfluss auf die Gestaltung des Gebäudes vorliegen, wenn der öffentliche Auftraggeber Einfluss auf die architektonische Gestaltung des Gebäudes, wie seine Größe, seine Außenwände und seine tragenden Wände ausgeübt hat.
- Zum anderen kann ein entscheidender Einfluss auch dann vorliegen, wenn Anforderungen, die an die Gebäudeeinteilung gestellt werden, sich aufgrund ihrer Eigenwart oder ihres Umfangs abheben.
Zu den „Äußerlichkeiten“ des Gebäudes, auf die die Kommission eine Einflussnahme von Wiener Wohnen behauptet hatte (Brücke und OG 6 – 8), hat der EuGH im Wesentlichen nur darauf hingewiesen, dass deren Errichtung schon vor Involvierung von Wiener Wohnen optional geplant gewesen war. Mit seiner sehr detaillierten Auseinandersetzung zu den sonstigen Anforderungen und Spezifikationen bzw anderen Inhalten des Mietvertrages hat der EuGH in der Folge eine recht genaue Anleitung dafür gegeben, was zulässigerweise zwischen einem Vermieter und einem öffentlichen Auftraggeber in einem Mietvertrag vereinbart werden darf, ohne dass die Gefahr besteht, dass der Vertragsabschluss als vergabepflichtiger Vorgang einer Ausschreibungspflicht unterworfen ist.
Insoweit bringt das vorliegende Urteil sicher ein Stück weit Rechtssicherheit für die häufig gestellte Frage, wie weit öffentliche Auftraggeber in Mietverträgen Einfluss auf die (Um-) Gestaltung des Mietobjektes nehmen dürfen, ohne mit dem Vergaberecht in Konflikt zu geraten.